Fallgeschichten

„Lebenspuzzles“  
Die Informationen des Fragebogens bilden Teile eines Lebenspuzzles ab. Fragmente, die sich manchmal zusammenfügen lassen.
Nicht alle Teile fügen sich nahtlos zusammen, das Bild bleibt zu den Rändern offen, und oft bleiben Teile übrig.
Es kann nur ein klei­ner Teil der Bezüge kommentiert werden. Rückversicherungen bei den Befragten, ob die Interpretation zutreffend ist, sind nicht möglich. Auch die Gefahr überzuinterpretieren, zu überzeichnen liegt nahe. In den nachfolgenden Fallgeschichten sei trotz der sich so ergebenden mannigfachen Unsicherheit eine biografische Rekonstruktion gewagt.Ob die von Oliver Sacks beschriebene Sehnsucht nach einer „poetischen Neurologie“  ein Weg zum Verständnis Parkinson-Erkrankter und der Parkinson-Krankheit ist? Sein Wunsch, die Funktionen des Nervensystems, den Einfluss von Botenstoffen wie L-Dopa-Wirkung auf die Psyche und Motorik biografisch zu greifen und die Dopa-Therapie in dieser Richtung zu erweitern, ist er in der Neurologie alleine geblieben. Der Wunsch nach einer Poetisierung der Welt - durch die Geistesbewegungen der Romantik und dem Surrealismus veranschaulicht - und deren Wunsch, das eine poetische Gesellschaftsordnung jeden Deutungszwiespalt überwinde  bliebe ein Anachronismus. Mit einer solchen Poetisierung des Untersuchungsgegenstandes wäre möglicherweise der unbekannten Seite des Lebens mit Parkinson zu mehr Recht zu verhelfen. Doch transzendiert man die Wirklichkeit poetisch, schafft das auch neue und keineswegs eindeutige Deutungsebenen: Ob die zerfließenden Uhren des Surrealisten Salvatore Dali das verschwimmende Zeitgefühl der Bradykinese widerspiegeln und von Dalis  Parkinson-Erkrankung inspiriert sind? Spiegeln sie – ebenso wie viele Aspekte der Parkinson-Erkrankung - urmenschliche Erfahrungen, des Zerrinnens, Zerfließens der eigenen Lebenszeit? Dalis Infragestellung des runden, gleichförmigen Charakters von Zeit.

Wilhelm von Humboldt, ebenfalls Parkinson-Erkrankter, formulierte es in einem Brief an : „Alle Handlungen dauern sechs mal so lange“ Die Darstellung versucht für alle Aussagen der Befragten offen zu sein. Die geschilderten Lebenserfahrungen sollen assoziativ im Hinblick auf die Deutungsmuster aus dem Blickwinkel der Betroffenen im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Parkinson-Krankheit nachvollzogen werden. Diesem Deutungsstrang versuche ich durch den Lebenslauf zu folgen.Derartige narrativ dargebotenen Fallgeschichten sind das Ge­genbild einer an Gruppenmittelwerten und Koeffizienten orientierten Statistik. Denn es gibt auch Probanden, die sich der Statistik verweigern: Bei anderen ziehen sich ndere ier werden Beziehungen zwischen unterschiedlichsten Merkmalen inner­halb einer Lebensgeschichte thematisiert. Es fliessen subjektive Empfindungen ein, in den Skizzen ist Platz für jene Deutungs-Spielräume, den das auf gleichartigen Beobachtungen bestehende Statistikprogramm nicht bieten kann.Sicher hätten es mehr der 238 Rückläufer Geschichten verdient, aufgezeichnet oder gedeutet zu werden. Die hier vorgestellten – recht unterschiedlichen beispielhaften Falldeutungen -  stehen pars pro toto für die Vielschichtigkeit des zurückerhalte­nen Materials. Die Auseinandersetzung mit Einzelfällen verweist stets vor allem auch auf die eigene Deutungsohnmacht – und Unsicherheit.

„Das Versagen im beruflichen Leben ließ mich in die Krank­heit abgleiten“  
„In den Augen meiner Mutter waren alle Frauen Nutten“
„Die falsche Frau und eine neureiche Verwandtschaft ge­heiratet“
„Zu langsam in allen Bereichen des täglichen Lebens"
„Die Fallgeschichte der Kontoristin W??-??-02: Selbst das Ge­burtsjahr bleibt Ihr Geheimnis

Allmählich gewinnt das Gefühl der Entlastung und Pflege zu kurz gekommener Interessen“  
„Gefühle zeigen, Ängste aussprechen, nicht kämpfen, die Krankheit annehmen“